Der Struwwelpeter – Eine Neufassung

Vorspruch

 

Wenn die Kinder artig sind…

kommt weiß Gott kein Christuskind.

Als das Leben ihm genommen,

wollt' als Löw' er wiederkommen,

da wird jedes Kind doch still,

weil's kein Futter werden will…

Die Idee war sicher gut,

nur nicht funktionieren tut,

drum lasst Kinder fröhlich werden,

hier und jetzt und schon auf Erden!

 

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Früher oder später

wird selbst Struwwelpeter

endlich akzeptiert,

nicht mehr drangsaliert,

weil er lange Haare trägt

und die braven Bürger schreckt.

Bis dahin muss er sehr leiden

und Kontakt mit ihnen meiden…

 

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Die Geschichte vom bösen Friederich

 

Der Friederich war bös und fies,

weil andre gern er leiden ließ,

so wie er selbst gelitten hat,

als ihm man schlug die Seele platt.

Der Täter wurde nie gefasst -

solang er in den Rahmen passt,

den die Gesellschaft aufgestellt,

nur Friedrich durch das Raster fällt.

Zum Glück hat er viel Energie

und geht – kurzum - in Therapie,

sobald die Wut dann sublimiert,

ist er auch wieder integriert.

Der inn're Schweinehund indessen

versucht in weiter anzufressen

und pinkelt ihm dabei ans Bein -

könnt' er ein guter Freund nicht sein?

 

Die gar traurige Geschichte mit dem Feuerzeug

 

Paulinchen war allein zu Haus,

die Mutter war zum Zweitjob aus,

da finanziell ganz abgebrannt,

der Vater selbst verließ das Land.

Nicht mal für Fastfood gab es Geld,

Paulinchen war auf sich gestellt.

Da ist ein Licht ihr aufgegangen,

und so begann sie, unbefangen,

wohl mehr aus Hunger als aus Spaß

zu kochen, aber das mit Gas!

Doch Minz und Maunz, die Katzen,

begannen sie zu kratzen,

denn Futter wollten wohl auch sie,

Paulinchen war erschreckt und schrie,

dabei hat sie sich mit der Hand

ganz fürchterlich am Herd verbrannt.

Der Topf fiel um auf beide Tiere,

ihr schönes Fell voll Fettgeschmiere,

Paulinchen wischte fort den Dreck:

"Warum nur ist die Mama weg!

Doch wenn sie kommt, soll's sauber sein,

sonst lässt sie mich auch noch allein…!" -

Das aber würde sie nie machen,

kommt müde heim, versucht zu lachen,

Paulinchen lächelt ebenso:

"Sie merkte nichts, was bin ich froh!"

Die Kleine lebt, doch seht ihr Herz -

dort brennt allein und still ihr Schmerz.

 

Die Geschichte von den schwarzen Buben

 

Man zog kurz vor Europas Tor

Flüchtlinge aus dem Meer empor.

Die meisten schickte man zurück,

nur einer hatte – scheinbar – Glück,

nach elend langer Lagerhaft

hat er es wenigstens geschafft.

Doch Ludwig, Kaspar, Wilhelm auch,

die trugen Schwarz, das war dort Brauch,

wo unser Flüchtling unterkam

und sich auch eine Arbeit nahm.

Der Kreis von Wilhelm war zwar leer

(sonst käm' er nicht zur Bundeswehr),

doch Kaspars Bretzel war ein Ding

zum Prügeln, also ein Schlagring.

Und Ludwigs Fahne zeigte klar,

dass dort ein Reichsadler wohl war.

Die drei, seit ewig schon auf Hartz,

die sahen für die Zukunft schwarz

und wünschten wenigstens sie braun,

doch konnten nicht mal sich vertrau'n,

denn selber war'n sie schwarz vor Hass

und Flüchtlinge, die büßten das…

Der Niklas griff zum Tintenfass,

er schrieb dagegen an, doch las

kaum einer, was er tapfer schrieb,

den Schlägern war das durchaus lieb,

so blieb ihr Dasein blass und bleich,

das passt ja gut zum schwarzen Reich.

 

Die Geschichte vom wilden Jäger

 

Die Jagdsaison fängt wieder an,

das Wilde steigt empor im Mann,

jetzt darf man morden, metzeln, schlachten,

muss nicht mehr auf den Anstand achten,

die Regeln achten reicht doch schon

und Triebentbindung ist der Lohn!

Doch was ist überhaupt geschehen,

dass den Kulturmenschen kann sehen

man freigelegt von der Moral,

die längst schon wurde ihm zur Qual?

Ein Wolf, der aus dem "Ausland" kam

frisst unsre Rehe ohne Scham.

Wie viele werden das wohl sein,

wenn dieser Wolf ist ganz allein?

Dreihunderttausend von den Tieren

wir jährlich hier bei uns verlieren

durch den Verkehr auf unsren Straßen,

den seelenruhig wir fließen lassen…

Und jetzt der Wolf... – Ist es ein Ahn,

das Totemtier vom wilden Mann,

das dieser hat noch hoch verehrt,

was der Kulturmensch ihm verwehrt?

Doch wenn's ein Ahn, wer wird's wohl sein?

Der Vater doch ganz allgemein!

In der Geschichte, wie verschoben,

sieht man den Hasen wütend toben,

mal wieder alles umgekehrt,

so wie es früher Freud gelehrt!

 

Die Geschichte vom Daumenlutscher

 

Konrad lutscht den Daumen gern,

meistens wenn die Mutter fern,

damit sucht er Trost und Halt,

den man auch braucht, wenn man alt.

Doch die Mutter wird nicht müde

noch mehr Angst zu machen rüde,

droht ihm mit der Kastration

aller beider Daumen schon.

Damit ist sie fortgegangen,

Konrad war von Angst umfangen,

und in seiner Phantasie

er ihr Ausdruck so verlieh:

Bauz! da geht die Türe auf

und ein Unhold stürmt darauf

in den leeren, kalten Raum,

die Kulisse für den Traum.

Hämisch selbst die Sonne lacht,

auf den Säulen angebracht,

als der Mann die Schere schwingt

und ihn um die Daumen bringt.

Gottseidank wird er dann wach,

denn der Papa, der sieht nach,

tröstet ihn und nimmt das Leid -

Ja, Herr Schneider weiß Bescheid…

 

Die Geschichte vom Suppen-Kaspar

 

Kaspar hielt sich selbst für fett,

gern weniger gewogen hätt'.

Die Superstars sind eher hager,

wie gerne wär' auch er so mager!

Und so bekam er Bulimie,

die endlich Selbstwert ihm verlieh.

Auf inn're Werte kam's nie an,

wohl, weil man sie nicht messen kann.

Denn heute zählt nur Quantität,

für Kaspar war es fast zu spät,

er musste bald in Therapie,

auch das er sich erst nicht verzieh,

denn schön, gesund und stark soll sein

der Mensch, nur das zählt ganz allein.

Doch Kaspar hat es doch geschafft,

er wurde nicht dahingerafft

von Werten, die von andren Leut' -

drum rundweg glücklich lebt er heut'!

 

Die Geschichte vom Zappel-Philipp

 

Philipp hat A D H S,

erst seit kurzem weiß man es.

Früher hieß es Zappelei,

schnell nahm man den Stock herbei,

um die Kinder zu dressieren,

ohne sie zu therapieren,

denn sie war'n im Aug' ein Dorn

ihren Eltern voller Zorn,

und der ganze Streit zu Haus

prägten die Symptome aus.

Jetzt kommt noch das Fastfood-Essen,

Leistungsdruck nicht zu vergessen,

Medien und Internet,

einschlafen kann man erst spät,

weil der nächste Level lockt,

"Mist, schon wieder mal verbockt!"

Philipp ist ganz durch den Wind,

dabei ist er noch ein Kind,

bräuchte Ruhe, Zeit zum Leben,

doch vor allem Liebe eben!

 

Die Geschichte vom Hans Guck-in-die-Luft

 

Hans ist fertig mit der Welt,

die ihm jetzt schon nicht gefällt,

auch wenn er noch ziemlich klein,

was erklärt sein Anders-sein.

Früh zum Träumer wurde er,

weil ihm wog die Seele schwer,

und der innere Konflikt

eine Gegenwelt ihm strickt.

Also schaut er Wolken nach,

wenn die Eltern haben Krach,

wünscht, er kann mit ihnen fliegen,

damit jene ihn nicht kriegen,

die ihn in der Schule quälen,

Schlechtes über ihn erzählen,

dies auch noch im Internet,

besser wenn er's gar nicht hätt'!

Niemand ruft hier: "Hans, gib acht!",

niemand hat an ihn gedacht,

der zumeist alleine ist,

alles um sich rum vergisst.

Früh schon ging den Bach er runter,

in den Fluten ging er unter,

nur die Fische hören zu,

Hans hat endlich seine Ruh'.

 

Die Geschichte vom fliegenden Robert

 

Robbie ist ein echter Held,

der nur tut, was ihm gefällt.

Die Gefahr, sie macht ihn an,

hier zeigt sich die Macht im Mann!

Mit dem Mountainbike er springt

über Gräben, da ihm winkt

Anerkennung und ein Kick,

die als Gier sitzt im Genick.

Auch wenn's bricht, das ist egal,

Robbie selbst hat keine Wahl,

denn es ist wie eine Sucht,

wenn er radelt, wie auf Flucht.

Mehrmals schon im Krankenhaus,

kam er immer wieder raus,

doch die Sucht packt ihn erneut,

bis er's irgendwann bereut.

Aber Leistung ist gefragt,

Robbie über Gräben jagt,

die Gesellschaft unterstütz

ein Verhalten, das ihr nützt.

Robbie – ihr erklärter Held -

ist so jung noch Herr der Welt.

Älter werden will er nicht,

besser, wenn der Schädel bricht!

 

 

(26.04.2022)

 

(basierend auf "Der Struwwelpeter" von Dr. Heinrich Hoffmann, 1809 - 1894)