Das Wasser rauscht’, das Wasser schwoll, |
Ein Fischer saß daran, |
Sah nach dem Angel ruhevoll, |
Kühl bis ans Herz hinan. |
Und wie er sitzt und wie er lauscht, |
Teilt sich die Flut empor: |
Aus dem bewegten Wasser rauscht |
Ein feuchtes Weib hervor. |
Sie sang zu ihm, sie sprach zu ihm: |
»Was lockst du meine Brut |
Mit Menschenwitz und Menschenlist |
Hinauf in Todesglut? |
Ach wüßtest du, wie’s Fischlein ist |
So wohlig auf dem Grund, |
Du stiegst herunter, wie du bist, |
Und würdest erst gesund. |
Labt sich die liebe Sonne nicht, |
Der Mond sich nicht im Meer? |
Kehrt wellenatmend ihr Gesicht |
Nicht doppelt schöner her? |
Lockt dich der tiefe Himmel nicht. |
Das feuchtverklärte Blau? |
Lockt dich dein eigen Angesicht |
Nicht her in ew’gen Tau?« |
Das Wasser rauscht’, das Wasser schwoll, |
Netzt’ ihm den nackten Fuß; |
Sein Herz wuchs ihm so sehnsuchtsvoll |
Wie bei der Liebsten Gruß. |
Sie sprach zu ihm, sie sang zu ihm; |
Da war’s um ihn geschehn; |
Halb zog sie ihn, halb sank er hin |
Und ward nicht mehr gesehn. |
Das Wasser rauscht’, das Wasser schwoll |
im tiefen dunklen Schacht, |
in einer Welt, geheimnisvoll, |
von Menschenhand gemacht. |
Dort haust nun schon seit jener Zeit |
in brackig-braunem Schlamm |
die Meerjungfrau voll Traurigkeit, |
da sie vom Meere kam. |
Sie spricht zu uns, wir hören's nicht, |
und tot ist längst die Brut, |
sie wurde schmackhaftes Gericht, |
gegrillt auf Kohleglut. |
Die Meerjungfrau hat überlebt, |
im Klärschlamm auf dem Grund, |
vor Zorn und Traurigkeit sie bebt, |
die Schuppen stumpf und wund. |
Die Sonne sticht uns ins Genick, |
das Meer ist Plastiks Grab, |
des Menschen baldiges Geschick |
sinkt mit dem Schlamm hinab, |
damit aus quellendem Abort |
es auf den Hochmut speit, |
und letzte Fluten spülen fort |
des Menschen Herrlichkeit. |
Das Wasser rauscht’, das Wasser schwoll, |
zu Ende ist der Spaß! |
Die Menschheit längst vom Wahnsinn toll |
beißt salzig-trocknes Gras. |
Die Meerjungfrau, sie sang ihr Lied, |
dann war's um sie gescheh'n: |
Es war der Mensch, der sie verriet - |
sie ward nie mehr geseh'n!
(04.07.2022) |
Das Original in der ersten Spalte stammt von Johann Wolfgang von Goethe (1749 - 1832).