Acht Tage zählt' er schon, eh ihn |
Die Amme konnte stillen, |
Ein Würmchen, saugend kümmerlich |
An Zucker und Kamillen, |
Statt Nägel nur ein Häutchen lind, |
Däumlein wie Vogelsporen, |
Und jeder sagte: »Armes Kind! |
Es ist zu früh geboren!« |
Doch wuchs er auf, und mit der Zeit |
Hat Leben sich entwickelt, |
Mehr als der Doktor prophezeit, |
Und hätt' er ihn zerstückelt; |
Im zähen Körper zeigte sich |
Zäh wilder Seele Streben; |
Einmal erfaßt - dann sicherlich |
Hielt er, auf Tod und Leben. |
In Büchern hat er sich studiert |
Hohläugig und zuschanden, |
Und durch sein glühes Hirn geführt |
Zahllose Liederbanden. |
Ein steter Drang - hinauf! hinauf! |
Und ringsum keine Palme; |
So klomm er an der Weide auf |
Und jauchzte in die Alme. |
Zwar dünkt ihn oft, bei trübem Mut, |
Sein Baldachin von Laube |
So köstlich wie ein alter Hut, |
Wie 'ne zerrissne Haube; |
Allein dies schalt man »eitlen Drang, |
Mit Würde abzutrumpfen!« |
Und alles was er sah, das sang |
Herab vom Weidenstumpfen. |
So ward denn eine werte Zeit |
Vertrödelt und verstammelt, |
Lichtblonde Liederlein juchheit |
Und Weidenduft gesammelt; |
Wohl fielen Tränen in den Flaum |
Und schimmerten am Raine, |
Erfaßte ihn der glühe Traum |
Von einem Palmenhaine. |
Und als das Leben ausgebrannt |
Und fühlte sich vergehen, |
Da sollt' wie Moses er das Land |
Der Gottverheißung sehen: |
Er sah, er sah sie Schaft an Schaft |
Die heil'gen Kronen ragen, |
Und drunter all die frische Kraft |
Der edlen Sprossen tragen. |
Und Lieder hört' er, Melodien, |
Wie ihm im Traum geklungen, |
Wenn ein Kristall der Gletscher schien |
Und Adler sich geschwungen; |
Durch das smaragdne Riesenlaub |
Sah er die Lyra blinken |
Und über sie gleich goldnem Staub |
Levantes Äther sinken. |
O, wie zusammen da im Fall |
Die alten Töne schwirrten, |
Im Busen die Gefangnen all |
Mit ihren Ketten klirrten! |
»Ha, Leben, Jahre! und mein Sitz |
Ist in den Säulenwänden, |
Auch meine Lyra soll den Blitz |
Durch die Smaragden senden!« |
Ach, arme Frist, an solchem Schaft |
Mit mattem Fuß zu klimmen; |
Die Sehne seiner Jugendkraft, |
Vermag er sie zu stimmen? |
Und bald erseufzt er: »Hin ist hin! |
Vertrödelt ist verloren! |
Die Scholle winkt, weh mir, ich bin |
Zu früh, zu früh geboren!« |
Drei Wochen früher kam ich an |
und wollte hier nichts essen, |
es schien mir wie der Hölle Wahn - |
den Rest hab' ich vergessen… |
Nur dass man hier nicht essen soll, |
das raten uns die Mythen; |
mit roten Fäustchen voller Groll |
wollt' solches ich verhüten. |
Doch wuchs ich auf, Annette gleich, |
denn Leben will nur leben, |
so wenig Jahre nach dem "Reich": |
Die Hölle war es eben! |
Die Seele noch so zart wie wild, |
sie kämpfte sich nach oben, |
doch soll den Tag man aufgewühlt |
nicht vor dem Abend loben. |
Ja, Bücher hab' ich auch geliebt, |
sie geradezu verschlungen, |
weil das der Seele Nahrung gibt |
und Kraft fürs Spiel mit Jungen. |
Mit denen ging es hoch hinauf |
in Trauerweidens Äste; |
Dort war ich wahrhaft obenauf, |
die Zeit - war meine beste. |
Nur selten kam Melancholie |
als Gast aus alten Zeiten, |
in Dunkelheit gehüllt wollt' sie |
mir Angst wohl nicht bereiten; |
So schauten wir zum Weiher hin, |
geschmückt im Lichterglanze, |
ein Nachtzug mit Musik im Sinn |
bat murmelnd sie zum Tanze. |
Doch jedes Tanzfest endet mal, |
am Morgen kommt der Kater, |
hinausgerissen, keine Wahl, |
ich fiel in einen Krater; |
Und fiel in einen langen Schlaf, |
wär's traumlos bloß gewesen, |
ich wurde zu dem schwarzen Schaf, |
doch bin davon genesen. |
Das Leben beinah' ausgebrannt, |
den Leuchtturm mir zu suchen, |
wie Moses in dem neuen Land, |
wollt' ich mein Glück versuchen: |
Und Schafe sollten's wieder sein, |
die Hoffnungs Wolle tragen, |
ein gold'nes Kalb war es allein, |
verdammt bald zu verzagen. |
Die Lieder und die Melodien |
als Traum nur sind geblieben, |
die Welt hat mir das nie verzieh'n - |
ich wurde aufgerieben. |
Doch suchte neuen Lebenszweck |
mit neuen Perspektiven, |
kam dennoch einfach nicht vom Fleck |
und wurde ganz verkniffen. |
Doch das, was immer in mir war, |
was mir die Moiren schenkten, |
das bot sich mir als Rettung dar, |
was jene wohl so lenkten. |
Nun schleudre ich der Dichtung Blitz |
hernieder auf die Erde, |
die immer noch der Seele Sitz, |
dass bald befreit ich werde. |
Ach, dies ist auch die Rettung nicht, |
wie bin ich doch ermattet, |
wo ist denn nur des Weihers Licht, |
das von der Nacht umschattet? |
Bald seufz ich auch mit "Hin ist hin! |
Mein Leben ist verloren!" |
Annette, sag, wo ist der Sinn? |
Zu früh bin ich geboren! |
(27.06.2022) |
Das Original in der ersten Spalte stammt von Annette von Droste Hülshoff (1797 - 1848).