"Frii es de Feskfang, |
Frii es de Jaght, |
Frii es de Strönthgang, |
Frii es de Naght, |
Frii es de See, de wilde See |
En de Hörnemmer Rhee". |
Der Amtmann von Tondern, Henning Pogwisch, |
Schlägt mit der Faust auf den Eichentisch: |
Heut fahr' ich selbst hinüber nach Sylt, |
Und hol' mir mit eigner Hand Zins und Gült. |
Und kann ich die Abgaben der Fischer nicht fassen, |
Sollen sie Nasen und Ohren lassen, |
Und ich höhn' ihrem Wort: |
Lewwer duad üs Slaav. |
Im Schiff vorn der Ritter, panzerbewehrt, |
Stützt finster sich auf sein langes Schwert. |
Hinter ihm, von der hohen Geistlichkeit, |
Steht Jürgen, der Priester, beflissen, bereit. |
Er reibt sich die Hände, er bückt den Nacken. |
Der Obrigkeit helf' ich, die Frevler zu packen, |
In den Pfuhl das Wort: |
Lewwer duad üs Slaav. |
Für Hörnum hat die Prunkbarke den Schnabel gewetzt, |
Ihr folgen die Ewer, kriegsvolkbesetzt. |
Und es knirschen die Kiele auf den Sand, |
Und der Ritter, der Priester springen ans Land, |
Und waffenrasselnd hinter den beiden |
Entreißen die Söldner die Klingen den Scheiden. |
Nun gilt es, Friesen: |
Lewwer duad üs Slaav! |
Die Knechte umzingeln das erste Haus, |
Pidder Lüng schaut verwundert zum Fenster hinaus. |
Der Ritter, der Priester treten allein |
Über die ärmliche Schwelle hinein. |
Des langen Peters starkzählige Sippe |
Sitzt grad an der kargen Mittagskrippe. |
Jetzt zeige dich, Pidder: |
Lewwer duad üs Slaav! |
Der Ritter verneigt sich mit hämischem Hohn, |
Der Priester will anheben seinen Sermon. |
Der Ritter nimmt spöttisch den Helm vom Haupt |
Und verbeugt sich noch einmal: Ihr erlaubt, |
Daß wir euch stören bei euerm Essen, |
Bringt hurtig den Zehnten, den ihr vergessen, |
Und euer Spruch ist ein Dreck: |
Lewwer duad üs Slaav. |
Da reckt sich Pidder, steht wie der Baum: |
Henning Pogwisch, halt deine Reden im Zaum. |
Wir waren der Steuern von jeher frei, |
Und ob du sie wünscht, ist uns einerlei. |
Zieh ab mit deinen Hungergesellen, |
Hörst du nicht schon meine Hunde bellen? |
Und das Wort bleibt stehn: |
Lewwer duad üs Slaav! |
Bettelpack, fährt ihn der Amtmann an, |
Und die Stirnader schwillt dem geschienten Mann: |
Du frißt deinen Grünkohl nicht eher auf, |
Als bis dein Geld hier liegt zu Hauf. |
Der Priester zischelt von Trotzkopf und Bücken, |
Und verkriecht sich hinter des Eisernen Rücken. |
O Wort, geh' nicht unter: |
Lewwer duad üs Slaav! |
Pidder Lüng starrt wie wirrsinnig den Amtmann an, |
Immer heftiger in Wut gerät der Tyrann, |
Und er speit in den dampfenden Kohl hinein: |
Nun geh' an deinen Trog, du Schwein. |
Und er will, um die peinliche Stunde zu enden, |
Zu seinen Leuten nach draußen sich wenden. |
Dumpf tönts aus der Erde: |
Lewwer duad üs Slaav! |
Einen einzigen Sprung hat Pidder gethan, |
Er schleppt an den Napf den Amtmann heran, |
Und taucht ihm den Kopf ein, und läßt ihn nicht frei, |
Bis der Ritter erstickt ist im glühheißen Brei, |
Die Fäuste dann lassend vom furchbaren Gittern, |
Brüllt er, die Thüren und Wände zittern, |
Das stolzeste Wort: |
Lewwer duad üs Slaav! |
Der Priester liegt ohnmächtig ihm am Fuß, |
Die Häscher stürmen mit höllischem Gruß, |
Durchbohren den Fischer und zerren ihn fort, |
In den Dünen, im Dorf rasen Messer und Mord. |
Pidder Lüng doch, ehe sie ganz ihn verderben, |
Ruft noch einmal im Leben, im Sterben |
Sein Herrenwort: |
Lewwer duad üs Slaav! |
"Fische in Netzen, |
treibt sie hinein, |
lasst sie uns hetzen, |
frei darf nicht sein |
kein einzig Fischlein, |
höchstens zum Schein…" |
Die Amtfrau vom Center, Lea Tätisch, |
stiert ungerührt auf den Pressspantisch: |
Zwei Stunden fuhr sie zur Arbeit hin |
und redet sich ein, es hätte doch Sinn. |
So will sie denn heute mal "Kunden" fassen, |
die sollen jetzt auch mal Federn lassen, |
und sie höhnt ihrem Spruch: |
Lieber tot als das! |
Die Maßnahmen lauern schon virtuell, |
die Arbeit gibt's leider nicht ganz so schnell… |
Der Sicherheitsmann steht bereit am Empfang, |
die Opfer warten geduldig im Gang. |
Sie reiben die Hände, denn ihnen ist kalt, |
doch ist es egal, denn hier wird niemand alt. |
Wie wahr wird der Fluch: |
Lieber tot als das! |
Frau Tätisch, sie bittet dann zum Gespräch, |
die Vorladung kam nach dem Wirtschafts-Crash. |
Der "Kunde", er rauft sich verzweifelt das Haar, |
er steht doch inzwischen im sechzigsten Jahr! |
Der Drucker, er rasselt und spuckt sie aus - |
die "Arbeitsgelegenheit" flattert ins Haus., |
nur die macht ihn frei: |
Lieber tot als das! |
Frau Tätisch, sie zeigt nun auch Empathie: |
"Ja, sicher, so schrecklich wie jetzt war es nie! |
Doch trotz alledem muss sich endlich was tun, |
Sie wollen sich doch nicht auf Hartz Vier ausruh'n?" |
Der "Kunde" errötet, sein Krakengesicht |
sagt eigentlich nur: "Ach, bloß das will ich nicht!" |
und denkt sich dabei: |
Lieber tot als das! |
Er fühlt sich ganz elend und ist schon längst krank, |
der Amtsarzt erklärt ihn gesund, Gott sei Dank! |
Sonst müsst' er zur Reha, auch das nur mit Zwang, |
denkt er an die Zukunft, da wird ihm ganz bang. |
Die Heizung ist aus und das Essen ist karg, |
fürs SGB II gibt es nicht mal 'nen Sarg. |
Er hält sich für Dreck: |
Lieber tot als das! |
Der Alte erhebt sich, ganz steif wie ein Baum, |
mit hängenden Ästen im trostlosen Raum. |
Einst war er selbständig und fühlte sich frei, |
jetzt ist ihm sein Leben ganz einerlei. |
Man nahm es ihm völlig aus seiner Hand, |
in der von Frau Tätisch es sich nun befand, |
doch dort will er weg: |
Lieber tot als das! |
Ihr Sklave, das ist er, wird "Kunde genannt, |
kommt einmal im Monat zu ihr hingerannt. |
Zuweilen, da spürt er, sie meint es doch gut, |
doch letztlich hat sie wohl mit ihm nichts am Hut, |
Frau Tätisch - ein kleiner Fisch nur im System, |
und er, er ist knetbar wie brüchiger Lehm. |
Oh, breche doch Herz: |
Lieber tot als das! |
Doch da sind die Kinder, die Enkelchen auch, |
bald haben auch sie nichts mehr in ihrem Bauch, |
die Oma, der Opa sind nur noch Ballast |
und keiner von beiden ins Jobleben passt. |
An Seuchen zu sterben, das wär' ideal, |
dann hätte ein Ende die grausame Qual. |
Gib Frieden dem Schmerz: |
Lieber tot als das! |
Mein Gott, und was hat man doch alles getan, |
die Ich-AG, Kurse, die Umschulung dann, |
man wurde gemobbt, auf die Straße gejagt, |
und wird auch noch jetzt von Frau Tätisch geplagt. |
Kein Zuschuss vom Amt für den Chef hat genutzt, |
es dauert nicht lang', bis die Platte man putzt - |
und du gehst in die Knie: |
Lieber tot als das! |
Die Maßnahme steht, und schon bald geht es los, |
Frau Tätisch legt glücklich die Hand in den Schoß. |
Das Fahrgeld, zwar zugesagt, gibt's wieder nicht, |
es muss doch wohl reichen, wenn sie's nur verspricht. |
Der Maßnahmeträger alleine wird reich, |
der guten Frau Tätisch indes ist dies gleich, |
denn Angst hat auch sie: |
Lieber tot als das! |
(06.07.2022) |
Das Original in der ersten Spalte stammt von Detlev von Liliencron (1844 - 1909).