von so vielen
begafft
bespuckt
mit Steinen beworfen
alle wussten es
und das Letzte
was Du gesehen hast
von Deiner Heimatstadt
war der Schlachthof
zunächst nahmen sie Dir
nur
den letzten Besitz und
die Seele!
gaben Dir nicht einmal Wasser
im Viehwagon
nach Minsk
wo erst einmal
"Platz geschaffen" wurde...
bist Du je dort angekommen
oder wurdest Du erst
in Sobibor
endgültig erstickt
wie die anderen
z w e i h u n d e r t u n d f ü n f z i g t a u s e n d...
der Tod dauert
dreißig lange Minuten
doch es war viel länger...
und der Aufstand
kam viel zu spät
erschossen
von Minen zerrissen
im Stacheldraht hängend
überlebt
haben nur
47
Du warst nicht darunter
Elisabeth
(10.11.2020)
oft frage ich mich
was für ein Mensch Du warst
voller Sanftmut
und Hoffnung
vielleicht…
sicher wolltest Du
nur glücklich sein
wie alle anderen
warum nur
bist Du nicht gegangen?
glaubtest Du
man könne mit Liebe
den Hass besiegen?
dachtest Du
nach alldem
es könne unmöglich
noch schlimmer werden?
hofftest Du
vielleicht irgendwann
Frieden zu finden -
hier?
Dein Schwager floh
und kämpfte
doch litt
am Ende
wie die anderen
wenigstens
konnte er
das Unfassbare
überleben!
Du aber, Elisabeth
musstest sterben
und lebst nur noch
in meinem Herzen
(10.11.2021, überarbeitet 23.01.2024)
Am 10. November 1941 wurde Elisabeth H. und ihr Mann, der Polsterer Robert Josef H. vom Güterbahnhof Düsseldorf-Derendorf ins Ghetto Minsk deportiert.
Insgesamt gab es im Zeitraum von Oktober 1941 bis September 1944 von dort 7 große Transporte nach Osteuropa mit 6 – 7.000 Menschen. Verantwortlich war Wilhelm Meurin, der nach dem Krieg als vermisst galt und 1957 für tot erklärt wurde.
Zusammen mit Elisabeth H. und ihrem Mann wurden 993 Personen aus dem Bezirk Düsseldorf, davon 627 aus Düsseldorf selbst deportiert. Auf dem Weg nach Derendorf wurden sie von der Bevölkerung begafft, beleidigt und mit Steinen beworfen. Die Nacht verbrachten sie im Schlachthof, die 50 Reichsmark und 20 kg Gepäck wurden ihnen weggenommen. Die Fahrkarte 3. Klasse mussten sie selbst bezahlen.
Nach mehrtägiger Fahrt ohne Wasser und Verpflegung kamen sie dann in Minsk an. Ob Elisabeth H. und ihr Mann diese Fahrt überlebt haben ist nicht bekannt.
Das Ghetto Minsk in Weißrussland war 2 Quadratkilometer groß und mit anfangs 75.000 Menschen völlig überfüllt. Tausende wurden erschossen, und im September 1943 wurden die letzten 6000 Personen ins Vernichtungslager Sobibor gebracht.
Dort starben insgesamt bis zu 250.000 Menschen, hauptsächlich Juden, die mit Kohlenmonoxid vergast wurden. Der Tod dauerte zwischen 20 und 30 Minuten. Am 14. Oktober 1943, also kurz nach der letzten Deportation aus Minsk kam es zu einer Revolte. 600 Insassen wollten fliehen, wurden teilweise erschossen, teilweise blieben sie im Stacheldraht hängen, teilweise wurden sie von Minen zerrissen. 365 gelang die Flucht in die Wälder, aber nur 47 überlebten den Krieg.
Vom Düsseldorfer Transport überlebten nur 5 Personen, Elisabeth H. und ihr Mann waren nicht dabei.
Der Lagerkommandant Franz Stangl floh später von Italien nach Brasilien, wurde 1970 vom Oberlandesgericht Düsseldorf zu einer lebenslänglichen Gefängnisstrafe verurteilt, starb aber kurze Zeit später. Andere Beteiligte kamen straflos davon.
Ich fühle mich traurig und hilflos und kann nur aus tiefstem Herzen hoffen, dass sich dieser unfassbare Schrecken niemals wiederholt.
Den Gedenkstein für Elisabeth H. kann man in Düsseldorf auf der Industriestraße 41 finden, wo damals auch meine Großmutter wohnte.
http://www.statistik-des-holocaust.de/list_ger_rhl_411110.html
Ergänzung zu meinem Gedicht "Elisabeth" anlässlich des 80. Jahrestages ihrer Deportation: Der Schwager von Elisabeth kämpfte im Spanischen Bürgerkrieg und überlebte Auschwitz.
Industriestraße 41 in Düsseldorf,
Wohnhaus von Elisabeth H. in den 1930er Jahren
Mahnmal Güterbahnhof Düsseldorf-Derendorf
kurz vor der früheren Sammelstelle im Schlachthof
(Foto vom 25.01.2024)